© 2011 Martin Kreuels Orientierung

Orientierung

Meine Frau starb am 17.11.09 um 22 Uhr. Ich hatte das Gefühl in der Minute nach ihrem Tod, das sämtliche Bewegungen unmöglich geworden waren. Ich war innerhalb einer Sekunde selbständig bzw. musste es sein, aber das Gefühl dazu fehlte vollständig. Ich war nicht mal in der Lage einen Schritt zu gehen. Die Entscheidung zu treffen den einen Fuß vorzusetzen und den anderen nachzuführen, wie sollte das gehen, mir fehlte völlig die Sicherheit. Zehn Jahre vorher hatte ich mich mit meinem kleinen Unternehmen selbständig gemacht. So heißt es zumindest in meinem Lebenslauf, aber war ich es wirklich – selbständig? Meine Sicherheit war meine Frau, die nie in mein Unternehmen eingriff, ja, mal Kritik übte, aber eigentlich nie Einfluss genommen hatte. Sie war eben da.
Jetzt war sie weg und ich musste wie ein Säugling lernen Schritte zu machen, Entscheidungen zu treffen, Richtungen vorgeben. Die anwesende Ärztin, meine Schwägerin, meine Kinder standen vor mir und schauten mich an. Mit fragenden Augen, in Erwartung von Anweisungen. Ich musste plötzlich lernen zu führen.

Heute nach 16 Monaten des selbständigen Handelns sieht die Welt anders aus. Ich habe mich wieder in mein Leben hineingearbeitet. Führe eine Familie, habe die Entscheidung getroffen meine alte Selbständigkeit gegen eine komplett Neue einzutauschen, andere Menschen in mein Leben zu lassen, habe eine Angestellte, die ich anleiten muss.
Gleichzeitig bin ich sicherlich keine Maschine geworden, eher im Gegenteil. Ich habe gelernt Verantwortung zu tragen, Entscheidungen ohne Rücksprachen zu treffen, meine Wege zu verteidigen, weil ich mir sicher bin, dass mein Weg richtig ist.

Jetzt schaue ich in die Gesellschaft in der ich lebe und merke, dass ganz viele Menschen das gar nicht können. Sie suchen Sicherheit in Verordnungen, Anordnungen, Paragraphen und Gesetzen, wollen und müssen angeleitet werden, weil sie selber nicht die Verantwortung tragen können. Unsicherheit scheint überall vorhanden zu sein. Man versteckt sich lieber, als das man nach außen tritt.

Aber manchmal trifft man dann doch Menschen, die Entscheidungen treffen, dafür einstehen und anderen damit eine rote Linie aufzeigen, an der diese weiter gehen können. Da ist die Babysitterin meiner Kinder, Anfang 20, die sich bei Stuttgart21 in die Menge stellt und vom Wasserwerfer umgepustet wird, weil sie für eine Idee einsteht, oder der Geschäftsmann aus Bergisch Gladbach, Anfang 60, der in seinem Leben den Wandel zu Spiritualität vollzieht und ein beeindruckendes Bestattungshaus baut. Menschen, die Ideen haben und diese umsetzen.

Führungspersonen sind wenige von Geburt her, häufig muss man es lernen, habe ich manchmal das Gefühl. Vielleicht müssen wir uns alle mal an die Nase fassen und überlegen, ob nicht in unserem Bereich irgendwo ein Punkt vorhanden ist, den wir mit unserer Führung ausfüllen können.

4 Comments

  1. Posted 30. April 2011 at 10:12 | #

    Hallo Frau van Kluth,
    schön, dass Sie den Schritt gemacht haben und dabei ein gutes Gefühl haben. Neben den ganzen Gedanken über Richtig und Falsch gibt es auch einen Aspekt, der für uns wichtig ist: Der Mensch, der gegangen ist, hat nur seine Hülle verlassen, die dann hier zurückbleibt und vergeht. Die Hülle, unsere Hülle, kann nur dann leben, wenn unsere Seele in ihr wohnt. Gehen wir raus, bleibt eine “leere” Hülle. Wir, die Angehörigen, die hier bleiben, müssen damit lernen umzugehen, um weiter machen zu können, weil wir unsere Hülle (noch) nicht verlassen wollen. Wenn uns das Bild des Verstorbenen dafür eine Geh-Hilfe ist, sollten wir diesen Gehilfen gerne annehmen, weil auch wir Rechte und Bedürfnisse haben. Nicht nur der Verstorbene hat Rechte! Das ist nicht böse gemeint, sondern der Sicht auf die eigene Person geschuldet, die in dem hiesigen Umfeld bleibt, lebt und auf andere Menschen Einfluss hat.
    Ich wünsche Ihnen ein sonniges Wochenende
    Martin Kreuels

  2. van Kluth, Brigitte
    Posted 28. April 2011 at 23:43 | #

    Hallo, inspiriert durch die Fernsehsendung des Fotografierens nach dem Tod, hatte ich überhaupt keine Skrupel, meine Mutter (gest. 24.04.11) aufzunehmen.
    Vor der Sendung war ich unsicher, ob dies pietätlos sei, aber dann gab ich meinem Gefühl nach. Ich schaue mir ihr letztes Bild oft an und stelle fest, wie entspannt, fast lächelnd sie gegangen ist …
    Es gibt mir Trost und führt mich in die Realität, wenn ich beginne zu zweifeln, das sie tot ist ….

    Herzlichst
    B. van Kluth

  3. Posted 22. März 2011 at 17:18 | #

    Ne, so schlimm ist nicht. Ich bin wirklich nur ein Mensch, der versucht einen erfüllten und sinnvollen Job zu machen und parallel seine Kinder zu vernünftigen Menschen erziehen will. Mehr nicht. Sollte ich tatsächlich jemanden durch meine Art behilflich sein, dann freut es mich.

  4. Ralf Knüfken
    Posted 22. März 2011 at 09:16 | #

    Bist du dir bewußt das DU was solche Themen angeht ein riesen Leuchtturm bist?

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